Oft sind es unbedacht dahingesagte Bemerkungen, die mehr verletzen als man es ihnen im ersten Moment zutraut, kleine Handlungen, in denen große Missachtungen des Gegenübers stecken, die unser Leben in ungeahnter Weise prägen. Handlungen und Worte, die jenen, die sie getan oder gesagt haben, oft nicht bewusst sind – manchmal aber auch mit voller Absicht eingesetzt werden. Es ist ein tägliches Spiel der Demütigungen, aber auch der Rebellion – wenn etwa das Zähneputzen zum Akt der Selbstbehauptung eines Vierjährigen gegen seine Eltern wird – in dem wir agieren.
In ihrer Novelle „Federn lassen“ legt die in der Schweiz lebende Autorin Regina Dürig den Finger in jene Wunden, die uns im Alltag zugefügt werden. Manche scheinen sich zu wiederholen, bleiben durch ein permanentes daran Kratzen offen, andere prägen uns aufgrund ihres einschneidenden Erlebnisses so tief, dass sie nie wieder richtig verheilen – „lebenslang“, wie es im Buch und der für die Bühne adaptierten Version im „Kosmos Theater“ heißt.
Teil des Systems
In knapp 70 Minuten folgt das Stück (mit einigen Auslassungen) der Chronologie der Novelle. Mit ihren Miniaturen – Geschichten von einer bis maximal vier Seiten – begibt sich die Autorin auf die Suche nach Grenzüberschreitungen und Übergriffen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Verbindendes Element der unterschiedlichen in kurzer prägnanter Sprache geschilderten Texte ist das „Du“, das jeweils einer Hauptperson zugeschrieben ist. Eine Person wie du – und ich?
Lust sich auf eine der Figuren näher einzulassen oder gar in der eigenen Vergangenheit zu wühlen, macht der Abend (noch weniger als das Buch) trotzdem nicht, dazu bieten die Personen zu wenig Tiefe, bleibt alles zu abstrakt. Statt persönliche und ergreifende Schicksale aufzuzeigen, werden hier Mechanismen und Strukturen – patriarchalische wohlgemerkt – offengelegt. Ein System, in das wir seit Kindheit hineingequetscht werden. Da wird an einem gezogen und sich selbst verbogen, um zu passen, hineinzupassen in eine Gesellschaft, die nicht davor zurückschreckt, auf unsere Psyche und Körper zuzugreifen. Zu schüchtern, zu spröde, zu dick, zu dünn – wer kennt das nicht.
Doch wie können wir dem allen entkommen? Für Dürig stellt das Geschichtenerzählen und das gemeinsame darüber reden möglicherweise einen Anfang dar. Im Raum stehen Fragen wie warum werden Erzählungen eines Mannes, wenn es um Insiderwissen geht, eher als interessant empfunden als jene einer Frau? Wieso werden sexuelle Übergriffe nach wie vor heruntergespielt? Aus Scham könnte zumindest eine der Antworten lauten. Ein Motiv, dass Blanka Rádóczy (Regie und Bühne) und Andrea Simeon (Bühne und Kostüm) zum Wasser als reinigendes Element und letztendlich zum Pool brachte. Im leeren Schwimmbecken-Bühnenbild spielen sich drei Schauspieler*innen (Thomas Kolle, Tamara Semzov und Birgit Stöger) gekonnt den Ball zu; da wird posiert, sauniert, geputzt und geschrubbt, manchmal – trotz des teils wunderbar komisch anmutenden Einfallsreichtums, was die Verwendung der Requisiten anbelangt – etwas zu lange. Vor allem gegen Ende stellt sich durch das in die Länge gezogene Einbringen von Soundeffekten nach einem kurzweiligen ersten Teil Langeweile ein. Schade, das hätte nicht sein müssen.
Federn lassen
nach der Novelle von Regina Dürig
In einer Bühnenfassung von Anna Laner & Blanka Rádóczy
Weitere Termine: 18. bis 21. Mai. 2022, 20:00 Uhr
Kosmos Theater
Siebensterngasse 42
1070 Wien
www.kosmostheater.at
Dürig, Regina: Federn lassen. Graz/Wien : Literaturverlag Droschl: 2021
Titelbild: Federn lassen © Bettina Frenzel
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